Karibu!

Karibu!

Gut, dass du in meiner Nähe bist!

Gut, dass du in meiner Nähe bist!

Getreu dem Auftrag von der Lebensgemeinschaft der Aids-Waisen-Kinder von Itete wollen wir „ERZÄHLEN, DASS ES SIE GIBT!“
Dialog mit Itete

Dialog mit Itete

„Gut, dass du in meiner Nähe bist“ – heißt auch: gut, dass du mit mir in Dialog treten willst. Es gibt viel auszutauschen und vieles zu lernen von einander und miteinander.

3. Brief aus Itete

von Sigrid und Georg Wögerbauer

IM LAND DER EXTREME

wechselt die tropische Hitze
mit sintflutartigem Regen

leben Menschen in Lehmhütten
zerstoßen Getreide mit hölzernen Mörsern
während ihre Kinder mit Handys hantieren

ist der Boden voller Reichtum
und die Mehrheit voller Armut

ist die Wut so spürbar und der Hass
gleich wie die Herzlichkeit und Gastfreundschaft

sind Flut und Ebbe elementar

gibts die größten und wildesten Tiere
endlose Weiten
und die bedrückende Enge der Slums

IM LAND DER EXTREME

spüren wir unsere Emotionen brodeln
und erleben sie:

die Wut und die Freude
die Scham und die Angst
die Lust und die Tränen –

Tränen der Freude und auch die der Verzweiflung

IM LAND DER EXTREME

ist die Augenblicklichkeit elementar
und die Sehnsucht körperlich spürbar

Hoffnung und Verzweiflung
Tag und Nacht
Morgenröte und Dämmerung

Kinderreichtum Krankheit und Tod

IM LAND DER EXTREME

leben Menschen – einmalig
intensiv – voller Träume
lachen und tanzen durchs Leben
bis ein neues beginnt

MEIN LEATHERMAN UND PETER

Ich hab mir dieses Spielzeug – wie viele Männer in Europa – vor einigen Jahren gekauft. Natürlich den original Leatherman, keinen billigen Nachbau schlechter Qualität. Wenn ich mit Leatherman unterwegs war – meist nur im Urlaub – dann kam so ein „Outdoor – Freiheits – wilder Mann “ – Gefühl in mir hoch – die Vorstellung, einer zu sein, der überall überleben kann. Leatherman am Ledergürtel ist ein bestimmtes Gefühl, das nur „echte“ Männer nachvollziehen können. Die längste Zeit, seit ich dieses Multifunktionswerkzeug besitze, war ich wohl kein echter Mann, denn ich habs, wie manches, das ich besitze, nie wirklich verwenden können. Nicht in meiner Ordination, auch nicht bei Vorträgen und in Seminaren, selbst beim alljährlichen Urlaub in Griechenland fand er nur spärliche Verwendung.

Voller Freude hab ich den Leatherman auf unsere Reise nach Afrika mitgenommen. Und hier in Itete – ich staune – kommt er täglich zum Einsatz:

Die Fliegengitter schlechter Qualität (ein sogenanntes chinesisches“ fake“- Produkt) in den Fenstern der Schlafräume der Kinder haben sich nach vier Jahren komplett aufgelöst. In Itete gibts keine Zange. Voller Stolz aktiviere ich meinen Leatherman. Der Tischler, der hier außer einem kaputten Hammer und einer Säge noch eine große Machete besitzt, ist schwer begeistert von diesem Wunderding. Gemeinsam wechseln wir die Gitter aus – mit gutem Werkzeug gehts leichter.

Die Betten der Kinder wurden vor Jahren zusammengenagelt, entsprechend wackelig sind sie heute, die Nägel sind durchgerostet. Ich beobachte, wie die Tischler die (schon wieder rostigen) Schrauben mit der Spitze der Machete – provisorisch, wie hier alles – in das steinharte Teakholz drehen. Sie haben die Hände voller Blasen. Mein Leatherman kommt wieder zum Einsatz – diesmal als Schraubenzieher.

Seither kommt der Tischler immer wieder zu mir, um sich den Leatherman auszuborgen.

In Itete gibts keinen Strom. Mit Solarpanelen werden tagsüber Batterien gespeist, am Abend gibts spärliches Licht, damit die Kinder lernen können, denn ab 18.30 ists finster. – Plötzlicher Stromausfall ! Peter, 19 Jahre, ist Halbwaise und lebt seit vielen Jahren im Orphanage von Itete. Er ist nicht nur Powertiller driver (Kleintraktor mit zwei Rädern, von DGA gesponsert), sondern auch für den store – room verantwortlich, wo alle Wertsachen wie Reis und andere Nahrungsmittel verwahrt werden. Darüberhinaus ist er der Techniker im Orphanage. Mit einer Taschenlampe im Mund und einem stumpfen Küchenmesser – made in China – beginnt er den Draht blank zu machen, um wieder einen Kontakt herzustellen. Mein Wunderwerkzeug kommt wieder zum Einsatz. – Peter strahlt. – Bei seinen 16 Stunden Arbeitstagen am Feld, in der Küche, unterwegs mit Powertiller, oder beim Aufschneiden von Reissäcken – so ein Leatherman in seinen Händen kommt einfach nicht zur Ruhe.

Heute hab ich ihn mir ganz lange angeschaut – meinen Leatherman – das erste Mal, seit ich ihn besitze. Ich habe alle Funktionen ausprobiert und neue entdeckt, von denen ich bis jetzt keine Ahnung hatte. – Ich schätze 500 Österreichische Schilling hat er damals gekostet – das halbe Monatseinkommen für einen Lehrer hier in Tanzania. – Und ich habe beschlossen, meinen Leatherman hier in Itete zu lassen. Ich will ihn Peter schenken. Seit wir hier sind, bewirtet Peter uns im guest house aufmerksam. Letzte Woche sind wir um 6 Uhr in der Früh auf die Felder gefahren, er hat schon ab fünf Uhr alles vorbereitet, inklusive Jause für uns, dann haben wir zu sechst ca. 450 Kilo Reis mit der Hand gesät.

Peter hat drei Brüder und zwei Schwestern. Sein Vater ist an Aids gestorben. Die Mutter wollte nicht wieder heiraten, hat jedoch alleinstehend wenig Chancen. Gemeinsam mit ihren Kindern bewältigt sie die schwere Feldarbeit, aber Schulgeld kann sie nicht aufbringen. Peter und zwei seiner Brüder sind im Orphanage gelandet, sie haben Kontakt zu ihrer Mutter, unterstützen sie auch, aber sie leben und lernen hier bei Samuel, und mit den österreichischen Geldern können sie die Schule besuchen.

„Aids ist eine Erkrankung, die nicht in Afrika ihren Ursprung hat“ – sagt Brother Samuel – „die haben sie uns aus dem Westen importiert, und jetzt hat diese Erkrankung uns überrollt. Wenn in Afrika ein Elternteil stirbt, dann übernimmt die Verwandtschaft die Sorge für die geschwächte Familie. Wenn aber auch in der erweiterten Familie Schwäche, Armut, Krankheiten und Tod sich breit machen, dann versagen unsere gesunden Mechanismen, für die Schwachen zu sorgen.“

Peter weiß um seine Chancen hier im Orphanage. Er genießt das volle Vertrauen von Samuel, er sorgt für die täglichen Einkäufe – mittlerweilen werden hier täglich über 70 Menschen ernährt. Er wird nächstes Jahr in eine Berufsschule für Mechaniker gehen und will Traktorfahrer für die Better Life Foundation (BLF) werden. Alleine, bis jetzt gibt es hier noch keinen Traktor – dieser ist eines der nächsten großen Ziele, nur zu erreichen mit österreichischer Hilfe. – Nach ausführlichen Recherchen wissen wir, dass ein Traktor bei den fruchtbaren Böden in Itete im Lauf von einigen Jahren die finanzielle Eigenständigkeit der BLF von Itete nachhaltig fördern kann.

Mein Leatherman weiß nicht mehr, wie ihm geschieht – er wandert hier von einer Hand in die andere und ist nun endlich sinnvoll in Verwendung.

Mein erster Gedanke war, den Leatherman Peter zu schenken, der zweite – wieder typisch europäisch: Wenn ich zu Hause bin, kauf ich mir einen neuen, vielleicht kann der noch mehr! – Jetzt weiß ich, dass mein Leatherman in den Händen von Peter nur dann ein Geschenk ist, wenn ich mir zu Hause keinen neuen kaufe, den ich wieder nicht verwende. – Die gesparten, mittlerweile 100 Euro will ich als erste Spareinlage für das Itete-Konto mit Widmung „Traktor für Itete“ nehmen, und lade alle echten Männer ein, mit und ohne Leatherman, Unnötiges, das woanders sinnvoll gebraucht wird, auf dieses Konto einzuzahlen. (….echte Frauen, die sich auch angesprochen fühlen, sind natürlich auch herzlich eingeladen für einen Traktor zu zahlen, der in Itete hauptsächlich Frauen entlasten wird).

AFRIKA

viel gesehen
viel gelernt
viele Emotionen
viel Dankbarkeit
viele wunderbare Menschen
viele Gespräche

Vertrauen
Vorsicht
Dialoge
Verstehen
Achtsamkeit
und pole pole

begegnen

Verletzungen
Vorurteilen
Misstrauen
Betrug
Mission
Ausbeutung

pole sana
Entschuldigung
Entschuldung
hamna shida
es ist gut so

im Eingestehen
unserer Verletztheit
auf beiden Seiten
im Erleben des Wund Seins
beginnt Heilung

pole pole – langsam
ist der Graben überwindbar
im Verstehen, Erlernen
und Erleben
eines neuen Miteinander

Älterer Eintrag2. Brief aus Itete Nächster Eintrag4. Brief aus Itete